Der Autoschleppstart oder Der Stein des Anstoßes
(Chronist: Fritz Hupe)

Es war wohl Anfang 1932. Damals war unser am liebsten gelesenes Organ die Zeitschrift „Der Segelflieger“. Zu dieser Zeit wurde noch nicht so viel über Segelflugzeuge und Instrumente geschrieben, da die Typenauswahl gering war. Es gab wenige Dienstvorschriften, über die man hätte berichten können. In der Hauptsache wurde über die Qualität des Gummiseiles und das Hangsegeln geschrieben.

Segelflugzeug Winde
Eines Tages – ich glaube, es war ein Dienstag – kam Kamerad Willi aufgeregt mit der neuesten Ausgabe vom „Segelflieger“ zu mir. Begeistert erzählte er, dass Kronfeld ein Segelflugzeug mit einem dünnen, langen Stahlseil hinter ein Auto gehängt und sich damit hochschleppen lassen habe. Donnerwetter, das war ein Ding! Wir waren allerdings zunächst davon überzeugt, dass so ein Schleppstart ziemlich gefährlich sein müsse. Nachdem wir nun von Dienstag bis Freitag hierüber diskutiert hatten, erschien uns alles gar nicht so schlimm; ja, wir waren sogar der Meinung, diese Art in die Luft zu kommen, einmal auszuprobieren. Da wir kein Stahlseil hatten, wurden alle Kameraden beauftragt, alle vorhandenen Wäscheleinen am Sonntag mitzubringen. Am Sonntag fehlten in verschiedenen Familien 12 Wäscheleinen mit insgesamt 250 m Länge. Willi hatte einen alten Ford mit Aufbau. Die Tür hinten im Aufbau wurde sonntags herausgenommen und unser Transportwagen für den Zögling mittels einer langen Schraube angehängt. Sehr früh waren wir schon in Oerlinghausen, um wenig Zuschauer zu haben. Lange mussten wir nach einer geeigneten Fahrbahn suchen, denn die Heide vorm Hang war uneben und steinig. Nun wurde der offene Zögling vor den Wald gestellt und die Leine mit einem Ring in den offenen Haken eingehängt. Jetzt überlegten wir, wie die Leine am Ford befestigt werden konnte, damit sie im Notfall schnell zu lösen war. Mir kam ein guter Gedanke: Ich setzte mich rücklings in die Türöffnung, wickelte die Leine einmal um die Schraube und hielt das Ende fest. So konnte ich das Flugzeug gut beobachten und brauchte im Falle der Gefahr nur die Leine loszulassen. Alles war fertig, das Startzeichen wurde gegeben. Ich leitete durch das offene Fenster hinter dem Fahrer den Befehl weiter. Als wir anfuhren, begannen sich die Knoten der Leine zu drehen. Immer schneller und schneller. Wir waren schon einige Meter vom Fleck, aber der Zögling stand immer noch. Jeden Moment musste die Leine reißen. Da - endlich begann der Zögling zu rutschen, wurde schneller, der Mann an der Fläche musste zurückspringen – die Fläche war frei. Ganz langsam hob der Vogel ab, schwebte etwa einen Meter über der Heide. „Gas, Willi, gib Gas!“ rief ich in den Wagen. Dann kam das Malheur! Hatte Willi den Stein nicht gesehen oder nicht mehr ausweichen können? Ein Stoßen und Krachen schleuderte mich im hohen Bogen aus dem Türloch. Das Seil fiel ab – der Zögling setzte mit seinem Piloten, Fluglehrer Fritz Meyer, wieder auf. Und somit waren der erste Schleppstart des HVL und gleichzeitig der erste Schleppstart in Oerlinghausen beendet.

Alle Kameraden, die damals Augenzeugen waren, behaupten heute noch, dass ich bei meinem Salto aus dem Türloch mindestens einen Meter höher gewesen sei als Fluglehrer Meyer mit unserem Zögling.



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