Der andere Mensch
Selbsterkenntnis:
Am Steuer eines Oldtimers werden wir, Sie und ich, schon nach wenigen Metern andere Menschen. Einerseits wegen des kostbaren Blechs um uns herum. Andererseits müssen wir der damals üblichen Technik mehr Aufmerksamkeit widmen. Die gewohnte Hektik fällt ab, und der Schritt zurück in die 60er Jahre zwingt zum Nachdenken.

Wie ein Rauhaardackel, so scheint mir, hat zum Beispiel das Getriebe aus den 60er Jahren noch einen eigenen Willen. Es wehrt sich dagegen, gefühllos durchgerührt zu werden. Geschaltet wurde zeitgemäß mit Hebeln. Die waren lang und relativ zierlich. Bei Ford und Opel fand man sie hinter dem Lenkrad, im Mercedes 170V oder S aus den 50ern auf dem Getriebetunnel. Bei letzterem war dann jeweils eine Verbeugung im ersten und dritten Gang nötig, weil die Schaltwege gut einen halben Meter lang waren. Das spricht gegen nachträglich eingebaute starre Gurte, weil bei denen nur der 2.und der 4. Gang zur Verfügung stünden. Zwischen den Verbeugungen lag damals und liegt heute noch eine kleine Pause, um den Zahnrädern im Getriebe Gelegenheit zum Sortieren zu geben.

Hinzu kommt, dass vor gut 40 Jahren die Pferde recht behäbig von der Weide kamen, wenn man sie in Form von PS mobilisierte. Ich mache das am Beispiel meines 38jährigen P4 fest, dessen 40 Ponys nur gemächlich Fahrt aufnehmen. Das bedeutet für andere Verkehrsteilnehmer, dass sie Gelegenheit zu ruhigerer Fahrweise bekommen; wenn sie hinter mir sind. Vor mir tut sich währenddessen eine wohltuende Lücke zum Vordermann auf, was ich als Sicherheitsabstand definiere. Der lässt reichlich Gelegenheit zu beschaulichen Blicken in die Umgebung und zu vorausschauender Fahrweise, wenn die Vorderleute wegen zu späten Aufstehens enteilt sind.

Doch was aus unserer Sicht der Verkehrsberuhigung und damit der Sicherheit auf unseren Straßen dient, scheint nicht immer bei den anderen so anzukommen. So zähle ich nicht jeden zu denen, die unbedingt mal einen Oldtimer während der Fahrt von hinten begucken wollen, wenn sie dicht hinter mir sind. Sie wollen nur nicht mehr Hinterleute sein sondern Vorderleute. Sie und ich wissen: weil diese Hektiker nicht rechtzeitig aus der Koje gekommen sind.
Überhaupt meine ich nicht Sie, wenn ich von Hektikern spreche, wenn Sie in einem modernen Auto sitzen. Sie drängeln nicht hinter einem Oldtimer und freuen sich stattdessen beim Überholen, dass ein älterer Herr seinem Hobby frönt und sind höchstens neidisch auf ihn. Spätestens dann werden Sie es sein, wenn Ihr modernes Auto unterwegs seinen Dienst verweigert, und Sie, weil Sie auch schon ein älterer Herr sind, sich an die Zeiten vor Einführung der Elektronik erinnern.
Gut, ich gebe zu, dass ich öfters schwarze Finger hatte. Damals, als man noch an die Zündkerzen kam und der Vergaser mit einem normalen  Haushaltsschraubenschlüssel demontiert werden konnte. Das war aber nicht bei meinem ersten Auto, einem 62er Ford 17m im der Fall.

Erst ein paar Jahre später forderte ein R4 technisches Können. Meist war dann Nacht. Lobenswerterweise beschränkte sich das benötigte Werkzeug auf einen Schraubendreher und einen billigen Maulschlüssel. Der ADAC musste nicht kommen.
Das ist nun über 40 Jahre her. Gewiss: die Autos fahren heute auch. Sicher wie nie zuvor, zuverlässig und mit einem cw-Wert, von dem wir damals nur träumen konnten. Auch gebe ich zu, dass mir jede Glaubensgemeinschaft mehr Halt gibt als die Sitze in meinem P4. Dafür haben unsere Autos von damals auch heute noch unverwechselbare Gesichter und Namen, unter denen Sie und ich uns noch etwas vorstellen können. Sie brachten und bringen uns Mittelgebirge wie „Taunus“ oder „Eifel“ in Erinnerung, hießen „Köln“ oder hatten gar militärischen Rang wie der „Kapitän“.

Freuen Sie sich mit mir über ihren Anblick im normalen Straßenverkehr. Sie, die Sie vielleicht gerade hinter einem Oldie hinterher gefahren sind und dankenswerterweise nicht gleich gehupt haben, weil einer mit H-Nummer langsamer gewesen ist als Sie. Und ich, weil ich vielleicht gerade drin gesessen habe.

Karl Trieselmann


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